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Brandenburgische Festung

Im 15. Jahrhundert waren in der Mark Brandenburg die alten Wurf- und Schleudermaschinen durch die weittragenden Pulvergeschütze nach und nach ersetzt worden. Dadurch hatte auch die Küstriner Burg ihre strategische Bedeutung verloren. Ihre Aufgabe sollte am Zusammen­fluss von Oder und Warthe nach dem Willen von Markgraf Hans von nun an eine starke Festung übernehmen.

 

Markgraf Hans beginnt mit dem Festungsbau

Kaum war der markgräfliche Schlossbau beendet, begann noch im Jahre 1537 der Festungsbau. Die landschaftlichen Verhältnisse waren einem so gewaltigen Werk denkbar ungünstig. Zwar war die geographische Lage mit ihren Verteidigungsmitteln, den Brüchen und Wassern, für den gedachten Zweck sehr geeignet. Anders aber lagen die klimatischen und die Bodenverhältnisse. Die tiefe Lage der Stadt, nur 16 Meter über dem Meeresspiegel, der Zusammenfluss der beiden Ströme und die durch sie gebildeten Brüche und Niederungen mit den großen Wasserflächen brachten infolge der ständigen Wasserverdunstung eine starke Abkühlung mit sich. Im Früh­jahr und Herbst führte diese Abkühlung selbst an warmen Tagen zu Nachtfrösten, so dass Mau­rerarbeiten erst in der zweiten Hälfte des April beginnen konnten und schon in der ersten Hälfte des Oktobers eingestellt werden mussten, da die Nachtfröste dem frischen Mauerwerk schade­ten. Unter solchen Umständen musste der Festungsbau große Schwierigkeiten bereiten. Dazu kam die Ungleichheit des Bodens, der nicht überall einen geeigneten Baugrund bot. Kü­strin ist zwar nicht, wie oft vermutet und behauptet wird, nur auf Sumpf erbaut, sondern auf ei­ner teilweise über vierzig Meter starken Schicht aus Ton, die jedoch von Nordwesten nach Süd­osten an Tiefe gewinnt, so dass ein erheblicher Teil der Festungswerke auf Pfahlrosten gegrün­det werden musste.

 

Infolge der Schwierigkeiten, die das Klima und der Boden bereiteten, ist es erstaunlich, dass man im 16. Jahrhundert mit den verhältnismäßig primitiven Methoden und Mitteln der dama­ligen Zeit überhaupt in der Lage war, die Festungswerke aufzuführen. Es wäre jedenfalls be­quemer gewesen, wenn Markgraf Hans seinen ursprünglichen Plan, Königsberg/Neumark zur Festung auszubauen, durchgeführt hätte, zumal da die vorhanden gewesene Stadtmauer das Unternehmen wesentlich erleichtert hätte. Sein geschultes Verständnis vom Wert einer Fe­stung und den Notwendigkeiten ließ ihn Königsberg jedoch ablehnen, da die Stadt an einer Seite von Höhen umgeben ist, von denen aus ein mit Artillerie ausgerüsteter Feind ohne wei­teres die Festung beherrscht hätte. Anders lagen die Verhältnisse in Küstrin. Hier, am Zusam­menfluss zweier schiffbarer Ströme, waren die Transportverhältnisse denkbar günstig, die Ver­sorgung der Festung mit allen kriegswichtigen Materialien ließ sich unschwer auch in Kriegszei­ten durchführen und aufrecht erhalten. Zudem boten Oder und Warthe der Stadt an zwei Seiten einen natürlichen Schutz, der durch die sumpfige Niederung des Warthebruches nahezu voll­ständig wurde. Diese natürlichen Vorzüge, die Küstrin geradezu zur Festung prädestinierten, überwogen die Schwierigkeiten, so dass dieser weitschauende Fürst mit für damalige Zeiten enormen finanziellen Aufwendungen Küstrin befestigen ließ.

 

Anleihen und Steuern für den Festungsbau

Da der Staatssäckel die Festungsbauten nicht allein tragen konnte, wurden bedeutende Anlei­hen bei den Landständen, den Grundbesitzern und dem Adel gemacht. Nach Auffassung des Markgrafen Hans hatte die ganze Neumark, die den Schutz der Festung genießen sollte, auch deren Bau zu tragen. Er erließ daher an den gesamten Adel, an die Landvögte, Verweser, Amts­leute, an die Geistlichkeit und insbesondere an den Bischof von Lebus ein Schreiben, dass jeder Grundbesitzer für das erste Jahr zwölf Groschen und für die nächsten drei Jahre je acht Gro­schen je Hufe „in guter, harter und grober Münze" zu zahlen habe. Im Nichtzahlungsfalle wurde - durchaus modern - Pfändung angedroht. Selbstverständlich sollten auch die Städte nach Maßgabe ihres Einkommens zu dieser „Festungsbausteuer" veranlagt werden, wie das ge­nannte Schreiben tröstlich versichert.

 

Inzwischen hatte sich Markgraf Hans den italienischen Baumeister Giromella geholt, von dem angenommen wird, dass er auch die Festungen Spandau (1578-83) und Peitz (1562) gebaut hat, so dass die oft aufgestellte Behauptung, der Erbauer der Festungswerke in Küstrin sei nach de­ren Fertigstellung hingerichtet worden, um das Baugeheimnis nicht verraten zu können, kaum den Tatsachen entsprechen dürfte.

 

Einwohner leisten Zwangsarbeit

Bei dem Bau der Festung haben wir zwei Abschnitte zu unterscheiden:

  1. die Errichtung von Erdbefestigungen,

  2. den Bau gemauerter Festungswerke.

 

Zur Durchführung des ersten Bauabschnittes wurde eine regelrechte Pflichtarbeit organisiert. Dazu wurden nicht nur die Einwohner von Küstrin und dem benachbarten Kietz herangezogen, sondern auch die Einwohner der näheren und weiteren Umgebung. Auf besonderen und aus­drücklichen Befehl des Markgrafen mussten sich auch aus dem Sternberger Land die Unterta­nen des Bischofs von Lebus zur Dienstleistung melden. Dass das Anstellungs- und Arbeitsver­fahren nicht immer im Rahmen wienerischer Höflichkeit vor sich ging, ist einleuchtend. So liegt denn auch ein Schreiben des Bischofs von Lebus aus dem Jahre 1542 vor, worin dieser bewegte Klage darüber führt, dass des Markgrafen Landreuter seine, des Bischofs, Untertanen anhalten, sich montags nach Burchardi in Küstrin zur Arbeit zu stellen, obwohl das doch eine Zeit sei, in der sie mit der Feldarbeit vollauf beschäftigt seien. Außerdem rügt der Bischof, dass seine Leute, obwohl sie nach Kräften ihre Arbeit leisteten, ohne die geringste Ursache von den Wallmeistern Schläge bekämen. Den Markgrafen scheint dies alles nicht sonderlich beunruhigt zu haben. In sechs Jahren erhielt die Stadt einen Gürtel von hohen Erdwällen und tiefen Gräben. Aber die Fluten der Oder und der Warthe unterspülten die Wälle und rissen immer wieder große Teile weg, so dass ein gut Teil der Arbeit auf die Wiederherstellung verwandt werden musste. Trotz­dem war die Arbeit gut vorangeschritten. Im sechsten Jahr des Bauens, 1543, konnte bereits das schwere Geschütz aus Königsberg/Neumark und ein Jahr später das aus Cottbus nach Küstrin gebracht und auf den Wällen aufgestellt werden. Nun bekam die Festung schon ein Gesicht, aber das Richtige, das, was der Markgraf gewollt hatte, das war es nicht. Dazu mussten Stein­mauern sein, die das Wasser der Ströme bändigten und aus einer Plage zu einem Schutz werden ließen.

 

Die Verdammung der Feldmark

Diesem Vorhaben standen zunächst gewisse Rechte des Erbsassen auf Warnick namens Mat­thaeus von Schönbeck im Wege. Der Markgraf trat deshalb in Verhandlungen mit ihm und er­reichte im Jahre 1544, dass der Erbsasse auf seine Rechte verzichtete und ihm erlaubte, ,,die Warthe und deren Ausgänge zum Bau der Festung in und auf der Warnickschen Feldmark an Örtern, wo und wie es Sr. Fürstlichen Gnaden am bequemsten, zu verdämmen, zu schützen und aufzufangen und dann an Örter und Stätte nach Gelegenheit durch neue Gräben zu führen und leiten zu lassen." Auf diesem Schreiben beruht fast die gesamte festungsbauliche Entwick­lung Küstrins. Es hat den Friedrich-Wilhelms-Kanal ermöglicht, die über zweihundert Jahre später erfolgte Verlegung der Warthemündung, und die Eindeichung des Warthebruches. Mit diesem Schreiben in den Händen leitete der Markgraf den zweiten Bauabschnitt der Festung ein.

 

Die Maurerarbeiten hätten beginnen können. Der Herstellung der Ziegel stand nichts im Wege. Ein Ziegelofen, das erforderliche Holz zu dessen Gebrauch und Ton, das Material für die Her­stellung der Ziegel, waren vorhanden. Der Bau aber ruhte, da die Wolken am politischen Hori­zont ihre Schatten auch über Küstrin warfen. Es ging um Religion und Freiheit. Der Schmalkal­dische Krieg führte 1547 zum Ende des in sich uneinigen Schmalkaldischen Bundes, nur Mag­deburg, dem Markgraf Hans zu Hilfe eilte, behauptete sich. Im Jahre 1548 stand der Markgraf vor dem „geharnischten Reichstag" zu Augsburg und bot dem Kaiser Karl V. die Stirn, der sein evangelisches Bekenntnis verletzen wollte. Es dauerte noch bis zum Abschluss des Pas­sauer Vertrages am 31. Juli 1552, bis sich wieder alles soweit beruhigt hatte, dass sich Markgraf Hans seiner liebsten Aufgabe, dem Bau der Festung Küstrin, zuwenden konnte.

 

Küstrin als Zufluchtsort

Am Montag nach Matthäi 1553 stand Markgraf Hans vor dem Landtag zu Soldin und eröffnete den neumärkischen Ständen seinen Entschluss, die Festungswerke mit einer starken Mauerver­kleidung zu versehen. Einmütig standen die neumärkischen Stände zu ihrem Fürsten. Sie er­kannten an, dass die Festung Küstrin ein Zufluchtsort und eine Schutzwehr für das ganze Land und das Vorhaben des Markgrafen zweckmäßig sei, und sagten ihm Hilfe zu.

 

Ob nun die Erdbefestigungen des ersten Bauabschnitts erst beendet wurden, ehe die Mauer­verkleidung angebracht wurde, oder ob man die noch unvollendeten Werke sofort in Stein auf­führte, ist nicht bekannt. Aber wir wissen bestimmt, dass unverzüglich nach dem Soldiner Land­tag mit den Maurerarbeiten begonnen wurde.

 

Die von den neumärkischen Ständen zugesagte Hilfe ließ nicht auf sich warten. Große finanzi­elle Anstrengungen waren nötig. Die gesamten Baukosten in den Jahren 1537 bis 1554 betrugen 142 649 Fl. (Florin= Gulden) und von 1554 bis 1559 nochmals 14 843 Fl. Das sind Summen, die uns deutlich machen, zu welchen Opfern der deutsche Osten allzeit fähig war.

 

Es waren über den finanziellen Teil hinaus große persönliche Opfer notwendig in diesen Tagen härtester Arbeit am Bau und Aufbau Küstrins. Der sumpfige Untergrund bereitete viel Kopf­zerbrechen. Die Fundamente mussten auf eichene Pfahlroste gesetzt werden. Jedes Dorf der Neumark bis hinauf nach Arnswalde musste eine bestimmte Menge Feldsteine anfahren. Mau­ersteine lieferten die Ziegeleien in Vietz und Müncheberg, Kalk kam aus Rüdersdorf, wo der Markgraf einen Steinbruch besaß. Hunderte von Handwerkern und Arbeitern fanden bei dem Festungsbau Lohn und Brot. Manchmal mag das Verlangte hart an die Grenze menschlicher Leistungsfähigkeit herangegangen sein. Hinzu kam, dass der seit 1552 in Küstrin als Ober­hauptmann (Gouverneur) tätige Oberst Hans von Buch der Ältere die Bürger zu Wachtdiensten heranziehen musste, weil es ja damals noch kein stehendes Heer gab und jeder Bürger oder Bauer zugleich Soldat war. Die Bürgerschaft beklagte sich denn auch in einer Bitt- und Klage­schrift aus dem Jahre 1555, ,,dass sie ungeachtet all ihrer kurfürstlichen Privilegien und Stadtge­rechtigkeiten und bei allem guten Willen dennoch zu schwer mit Diensten und Abgaben bela­stet sei. Sie müsse in strenger Kälte die Festungsgräben aufeisen und mit Versäumnis der Nah­rung die Gräben offen erhalten, auf dem Wall wachen und bei Tage unter dem Tore und nachts vor dem Rathaus sitzen. Das alles sei sie von alters her zu tun nicht schuldig. Hinzu komme, dass sie mit schweren Kosten das Hospital, die Pfarre, die Schule, die Badestube, die Buden (Ver­kaufsstände), die Stadtschreiberei und andere Dienerhäuser, ferner die Schäferei, Meyerei, Ziegelscheune und Ziegelofen, ohne ihre Handarbeit zu rechnen, erbauet habe. Außer diesem allen wurde ihr nun unter Androhung der Gefängnisstrafe im Weißkopf befohlen, den Neu­märkischen Damm zu bauen und die Oder zu bewallen, damit sie nicht ganz nach Gorgast zu und von der Stadt abfließe."

 

Opfer für das großer Werk

Markgraf Hans kennt das alles, er kann es nicht ändern, weil das große Werk eben Opfer ver­langt. In seiner Antwort auf die Klageschrift der Bürgerschaft umging er deshalb viele der Kla­gepunkte, er schrieb jedoch, ,,dass der Rat schuldig sei, die Brückenhäupte des kurzen Dammes zu machen und in wesentlichem Bau zu erhalten, dass ferner die Bürgerschaft den gemeinen Steinweg unterhalten müsse, übrigens aber ein jeder von seinem Hause Urkunde und Schein von seiner gemeinten Befreiung beizubringen habe." Er geht eben nicht ab von seinem Ziel.

 

Ab November 1555 ruhte der Festungsbau aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen über zwei Jahre. Nachdem der in Küstrin zusammengetretene Landtag im Jahre 1557 eine neue Ab­gabe bewilligt hatte, die mit Ausnahme des Jahres 1560 in jedem Jahr von 1557 bis 1562 auf jede Hufe Land zu erheben sei, erging im Jahre 1558 an die „ehrbare Mannschaft im Landsber­gischen Bereit" (Kreis) die Aufforderung, den Bau in Küstrin vollenden zu helfen und zwar der­art, dass jeder Hauswirt sechs Tage an den Wällen zu arbeiten hatte. Die Mannschaften des Lan­des Sternberg und der Kreise Arnswalde und Dramberg wurden ebenfalls zum Festungsbau herangezogen.

 

Notgeld für den Festungsbau

Unter diesen Umständen ging der Bau rüstig voran, so dass sich Markgraf Hans im Jahre 1562 entschließen konnte, als weitere Sicherung seines Landes die Festung Peitz zu beginnen. Der gleichzeitige Bau zweier Festungen stellte natürlich übermäßige Anforderungen an die Finanz­kraft des Landes. Der Markgraf fand auch da einen Ausweg, den nach ihm noch viele „entdeck­ten" und beschritten haben. Er prägte ein Notgeld. Diese sogenannten „Hähnchen" oder „Hah­nenkämmchen" zeigten auf der einen Seite einen halben Hahn und rückwärts die Jahreszahl 1562. Obwohl es sich dabei um minderwertige Münze handelte, kamen beide Teile auf ihre Rechnung. Die beim Bau beschäftigten Männer erhielten dafür vollwertige Nahrungsmittel. Diese aber kamen aus den markgräflichen Vorwerken zu Neudamm, Neumühl, Drewitz und Schaumburg, so dass die „Hähnchen" nach einer kurzen Gastrolle in die herrschaftliche Scha­tulle zurückwanderten.

 

Dreißig Jahre nach dem Beginn des Baues, als die Festung nahezu vollendet war, wurde zum er­sten Male ihr militärisches Gewicht in die Waagschale der Politik geworfen. Das war im Jahre 1567. Wieder einmal war eine der ewigen Streitigkeiten des Markgrafen Hans mit seinem Bru­der, dem Kurfürsten Joachim II., aufgeflackert. Dabei handelte es sich immer um Schwierigkei­ten wegen der Zölle, wobei es nicht selten zu gegenseitigen Repressalien kam. Diese Befürch­tung hatte im vorliegenden Falle besonders die Stadt Frankfurt/Oder und traf alle zur Verteidi­gung erforderlichen Maßnahmen. Gleichzeitig wurden auch in Küstrin ähnliche Vorbereitun­gen getroffen. Die Wirren, denen diese Vorbereitungen dienten, scheinen jedoch ohne ernst­hafte Auseinandersetzung unblutig verlaufen zu sein.

 

Die Vollendung der Festung

Im Jahre 1568 konnte Markgraf Hans von Küstrin nach dreiunddreißigjähriger Regierungszeit, von der einunddreißig Jahre vom Klang der Spitzhacken, Spaten und Hämmer beim Bau der Fe­stung durchdröhnt waren, die Vollendung seines Werkes sehen.

 

Die Beschaffenheit der Festungswerke nach Beendigung des Baues ist in den hinterbliebenen Nachrichten nicht genau angegeben. Die ältesten Beschreibungen nach dem Plane in der Ma­rian'schen Topographie der Mark Brandenburg, welche die Form und Beschaffenheit der Fe­stungswerke näher ins Licht stellen, sind aus dem Jahre 1652. Hieraus erhält man das nachfol­gend aufgezeigte Bild:

 

Die Festung bildete ein Viereck. An jeder Ecke und in der Mitte der Ostseite stand je eine Ba­stion'» mit großen Kasematten!': und Schießscharten. Die Eckbastionen hießen später König, Königin, Kronprinzessin und Philipp, die Mittelbastion Kronprinz. Auf „Kronprinz" und auf „König" stand je ein sehr festes Haus, das Kavalier'» genannt wurde. Weil das auf der Bastion Kronprinz alles andere überragte, hieß dieser Teil der Festung im Volksmunde „Hoher Kava­lier". Auf den gemauerten Kavaliers standen Pulvertürme. An den Schmalseiten des länglichen Vierecks befanden sich zwei Festungstore: das Lange-Damm-Tor und das Kurze-Damm-Tor, später Berliner und Zorndorfer Tor benannt. Der uns unter dem Namen „Zorndorfer Tor" be­kannte Eingang zur Festung wurde von den Bastionen „Kronprinzessin" und „Kronprinz" flan­kiert, das andere Tor, das „Berliner Tor", durch die Bastionen „Königin" und „König". Neben diesen beiden mit Zugbrücken versehenen Toren führten zwei Pforten - Kietzer Pforte und Mühlenpforte - ins Freie. Die Zugbrücken ersetzte man später durch Dämme. Die Kietzer Pforte wurde 1887 zum Tor umgebaut. Die Teile der Festungswerke, die nicht unmittelbar von den beiden Strö­men Oder und Warthe umspült wurden, waren von einem breiten Graben umgeben, dessen Wasser bei der Bastion „Prinz Philipp" aus der Warthe eintrat und bei der Bastion „König" in die Oder floss. Die Festung war also allseitig von fließendem Wasser umgeben. Ob außerdem schon damals Außenwerke angelegt wurden, ist nicht bekannt, erscheint auch bei der geringen Reichweite der Geschütze ohne gezogenen Lauf, den man erst im vergangenen Jahrhundert in Anwendung brachte, unwahrscheinlich.

 

Küstriner Geschütze

Zur Armierung der Festung ließ der Markgraf von Städten seines Landes die Kanonen ablie­fern. Die Geschütze wurden in der markgräflichen Stückgießerei (am Ende der Weinberg­straße) gegossen. Der Markgraf, im Artilleriewesen sehr erfahren, entwarf die Formen der Ge­schütze selbst und probierte auch ihre Tragfähigkeit und Treffsicherheit aus. Er liebte es beson­ders, die Geschütze mit Sprüchen und Verzierungen zu schmücken.

 

Auf einem Rohr war der Papst als wilder Mann dargestellt mit der Umschrift:

,,Der Papst heißt recht der wilde Mann,

Der durch seine falsche Schalkes Bahn

All Unglück angerichtet han,

Das Gott und Menschen nicht leiden kann."

 

Ein anderes Geschütz trug ein Rebhuhn und den Vers:

,,Das Rebhuhn mit seinem Schnabel picken,

Dass manche darob zu Tode erschricken."

 

Im Inneren der Festung ließ der Markgraf drei große Zeughäuser errichten, deren größtes sie­benhundert Schuh oder dreihundert Schritt lang war und am Wall zwischen den Bastionen „Kronprinz" und „Königin" (Schulstraße) lag. Die beiden anderen Zeughäuser standen in der Nähe des Schlosses, wo auch nach dem Brande von 1758 wieder Zeughäuser errichtet wurden. In ihnen lagerte ein reicher Vorrat von Kartaunen16, Feldschlangen17, Handfeuerwaffen, Hellebarden18 und Morgensternen19. Hier arbeiteten zwölf Büchsenmacher und Stückmeister, die im Notfall die Geschütze in den Kasematten oder auf dem Wall zu bedienen hatten.

 

Küstriner zu Staatsdiensten verpflichtet

Die Besatzung der Festung soll zunächst aus 60 Jahrknechten, welche jahrweise gemietet wa­ren, bestanden haben. Dann wurden Monatsknechte gedungen. Am Schluss der Regierungszeit von Markgraf Hans zählte die Festungsbesatzung 150 Kriegsknechte, die in drei Rotten einge­teilt waren und von dem Gardehauptmann befehligt wurden. Erst nach dem Tode von Markgraf Hans kamen etliche Kompanien hierher und später ganze Regimenter. Auch die Küstriner Bür­ger zog der Markgraf zu Garnisondiensten heran. Am Tage mussten sie die Torwache überneh­men und nachts Stadtwachen leisten. Das Reglement war hart:

 

Festungssoldaten, die zu wie­derholten Malen auf ihrem Posten eingeschlafen waren, bestrafte der Markgraf mit dem Tode oder ließ sie nach Ungarn zum Kampf gegen die Türken deportieren. Oberhauptmann (Gou­verneur) der Festung war von 1552 bis 1593 der 1532 zum kurbrandenburgischen Obersten be­förderte Hans von Buch der Ältere zu Baruth.

 

Für die Verpflegung der Festungsbesatzung baute der Markgraf drei Kornhäuser (Kornböden), etliche Stockwerke hoch, eines am Zorndorfer Tor (das spätere „Proviantamt"), das zweite un­mittelbar dahinter, das mit der Seite an die Bürgerhäuser in der Kommandantenstraße grenzte. Das dritte Kornhaus nahm die Ecke Renneplatz/Berliner Straße ein, wo es bis zur Zerstörung der Stadt stand. Außerdem baute er ein Salzhaus (Rauchhaus) und ein Speckhaus, die beide am Renneplatz standen. Zum Mahlen des Getreides ließ er auf den Bastionen „Philipp" und „Kö­nigin" je eine Windmühle und am Berliner Tor eine kleine Wassermühle herstellen. Die Bürger konnten ihr Mehl aus zwei Schiffsmühlen beziehen, zu denen die Mühlenpforte, eine Pforte beim Schloss, durch die Festungsmauern führte.

 

Markttreiben als Verpflichtung

Um die Verpflegung des Hofstaates, der Beamtenschaft und der Festungsbesatzung zu sichern, erhielt die Stadt das Niederlagerecht für Fische, d. h. alle Fischtransporte, die Küstrin passier­ten, mussten erst hier halten und am Flusse bis zum nächsten Morgen öffentlich zum Verkauf gestellt werden. Zweitens verlieh der Landesherr der Stadt ein wichtiges Marktprivileg. Dieses verpflichtete alle Bauern im Umkreis von fünf Meilen, ihr Getreide nur auf dem Küstriner Markt feilzubieten.

 

Zur Sicherung der Festung verlegte Markgraf Hans das Dorf Kietz von der alten Mündung der Warthe auf das linke Ufer der Oder und die Oderbrücke, die bisher den Strom beim Schloss überquert hatte, an die heutige bekannte Stelle. Gleichzeitig wurde für den Durchgangsverkehr eine Straße außerhalb der Festung von der Oderbrücke zum Zorndorfer Tor gebaut. Diese Umge­hungsstraße schädigte die Küstriner Geschäftswelt erheblich. Auch von der Torsperre, die vom Eintritt der Dunkelheit bis zum frühen Morgen währte, waren die Kaufleute und Ackerbürger der Stadt wenig erbaut. Viele von ihnen und auch Handwerker zogen es deshalb vor, sich außerhalb der Festungsmauern anzusiedeln, insbesondere am jenseitigen Ufer der Oder. Diese Siedlung entwickelte sich allmählich vom neuen Kietz bis weit nach Norden. Deshalb wurde sie Lange Vorstadt genannt. In ihr besaß der Markgraf ein Vorwerk, auf dem er ein Gestüt unter­hielt und das deswegen der Wildenhof hieß. Erst unter Friedrich Wilhelm I. wurde es nach Ost­preußen verlegt.

 

An Wochenmarkttagen passierten lange Wagenzüge mit Getreide die Festungstore. Deshalb herrschte in der Stadt immer große Nachfrage nach Speisen und Getränken. Das beste Geschäft in der Festung machten die Gasthöfe und Brauereien. Wohlhabende Leute suchten in der von der Markgräfin gegründeten Apotheke Erquickung; denn die Hofapotheke besaß das markgräf­liche Privileg zum Ausschank von Wein und von auswärtigen berühmten Bieren.

 

Der Tageslauf in der Festung war denkbar einfach und streng. Schon um 3 Uhr morgens schmetterte das Horn des Hausmanns vom Schlossturm über Küstrin und gab das Zeichen zum Wecken. Köche und Knechte des Markgrafen erhoben sich, um die Morgensuppe zu bereiten. Nach einer kurzen Gottesandacht im Kreise seiner Familie machte sich Hans an die Arbeit. Um 9 Uhr erklang die Trompete zum zweiten Male vom Turm: die erste Hauptmahlzeit im Schloss wurde eingenommen. Um 16 Uhr wurde die letzte Hauptmahlzeit eingenommen. Und die Kü­striner machten es nach.

 

Markgraf Johann von Brandenburg-Küstrin

Wer war denn nun dieser Markgraf Johann von Brandenburg, genannt Hans von Küstrin, der diese gewaltigen Festungsbauten errichten ließ und Küstrin damit zu einer der modernsten und gewaltigsten Festungen der damaligen Zeit machte? Er war ein Fürst, der von seinen Unterta­nen eigentlich nur Arbeit und Abgaben verlangte. Und trotz Arbeit und Abgaben lag etwas wie strahlendes Glück hinter den neuen Mauern. Man war zufrieden, weil man wusste, dass drüben einer im Schloss saß und sich sorgte und unter seinem Gottesgnadentum etwas tief Verpflich­tendes verstand. Tag und Nacht war er auf seinem Posten, entwarf Pläne, ordnete, kontrollierte. Er regelte alles, hatte seine Hand in allem; er war weniger ein fern und erhaben regierender Fürst als ein großer, patriarchalisch seinen Landbesitz verwaltender Gutsherr.

 

Am 13. Januar 1571 starb Markgraf Hans in Küstrin. Sein ihn behandelnder Arzt war Dr. Paul Luther, ein Sohn des Reformators und der Leibarzt seines Bruders. Nach seinem Tode wurde er unter dem Altar der Pfarrkirche20 in einem Gewölbe beigesetzt, das er sich 1555 zu dem Zweck hatte erbauen lassen. Seine Gruft, die bei dem großen Brande der Stadt 1758 (nach Beschießung durch die Russen) verschüttet wurde, hat man 1880 wieder entdeckt, von Schutt und Asche be­freit und pietätvoll (Innenausstattung von Schinkel) wieder hergerichtet und am 15. August 1882 feierlich eingeweiht. Neben dem Markgrafen ruhten seine Gemahlin, ,,Mutter Käthe" = Katharina von Braunschweig, und Angehörige des Herrscherhauses, die Herrenmeister des Jo­hanniterordens in Sonnenberg waren. Später wurden hier der Gouverneur von Küstrin, Chri­stian Albrecht Graf zu Dohna, seine Ehefrau und seine beiden Söhne beigesetzt. Auf einer Grabinschrift des Markgrafen lesen wir:

,,Zwo Vesten, Küstrin und die Peiß,

Erbauet, bespeißt, besetzt mit Fleiß;

Deutschland zu gut er alles tät,

Weil Nord und Ost viel U muh hätt."

 

Dieser Spruch zeugt von dem tiefen Verständnis und der großen Verehrung, die dem Markgra­fen entgegen gebracht wurde.

 

Denkmäler in der Altstadt

Im Jahre 1903 hat die Stadt Markgraf Hans vor dem Schloss, in dem er 35 Jahre regiert hat, ein schönes Bronzestandbild von Professor Fritz Schaper21 errichten lassen. Der Markgraf ist in einem Kostüm der Spätrenaissance in seiner Bedeutung als Erbauer der Festung dargestellt, daher ruht seine Rechte auf dem Festungsplan. Am 24. Oktober 1903 enthüllte der letzte deutsche Kaiser, Kaiser Wilhelm II., zur Erinnerung an den Aufenthalt seiner Vorfahren in der Oderfestung dieses Denkmal und das für den Kurprinzen Friedrich Wilhelm, den späteren Großen Kurfürsten, von Professor Gerhard Janensch22 errichtete Denkmal (Geschenk Kaiser Wilhelms II.) sowie ferner eine vom Bildhauer Wilhelm Haverkamp23 in Marmor geschaffene Büste Friedrichs des Großen24 (Geschenk Kaiser Wilhelms II.), die sich in dem im Schloss zu einer Erinnerungsstätte ausgebauten Friedrichszimmer befand. Von der Marmorbüste war der Kaiser so angetan, dass er eine weitere für das Potsdamer Schloss und eine kleine Ausführung in Porzellan nachbilden ließ.

 

Es war ein großes Ereignis, als Kaiser Wilhelm II. in Küstrin weilte. Bürgermeister Securius - der Erste Bürgermeister Detlefsen, der alles in Gang gebracht hatte, war kurz vorher gestorben - übermittelte dem Kaiser den Willkommensgruß der Stadt, die zur Parade angetretene Garni­son wurde dem obersten Kriegsherrn durch den Kommandanten Generalmajor von Augustin gemeldet. Nach der Einweihung der Denkmäler trug sich der Kaiser in das im Rathaus auslie­gende Goldene Buch der Stadt ein.

 

  1. Karl V.= römisch-deutscher Kaiser (1519-56). Von ihm stammt das Wort über die Mark Brandenburg von „des Heiligen Rö­mischen Reiches Erzstreusaudbüchse." Er musste im Nürnberger Religionsfrieden (1532) den Protestanten Duldung gewäh­ren. Im Schmalkaldischen Kriege (1546/47) gelang es ihm, die Protestanten in der Schlacht bei Mühlberg (1547) zu schlagen und den Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen gefangenzunehmen: Ende des Schmalkaldischen Bundes. Doch scheiterte er, als er den „geharnischten Reichstag" von Augsburg (154 7 / 48) zur Niederwerfung des Luthertums und zur Aufrichtung ei­ner starken kaiserlichen Macht in Deutschland benutzen wollte. Nach dem Sieg der Fürstenverschwörung unter Moritz von Sachsen musste er 1552 den für die Protestanten günstigen Passauer Vertrag abschließen.

  2. Bastion= Bollwerk, bestehend aus stumpf vorspringenden Winkeln, deren Schenkel (Facen) von den Flanken der Nebenba­stion aus mit Feuer bestrichen werden können.

  3. Kasematte= ein schuß- und bombenfest abgedeckter Hohlraum zur Unterkunft von Mannschaften und Lagerung von Kriegs­gerät, Munition und Vorräten.

  4. Kavalier= ein überhöhend angeordnetes Bauwerk zur Feuerverstärkung.

  5. Kartaune= ein schweres, Geschosse von 40 Pfund, als Doppelkartaune von 70 bis 80 Pfund verschießendes Vorderladege­schütz des 16. und 17. Jahrhunderts.

  6. Feldschlange= spätmittelalterliches, bis ins 17. Jahrhundert hinein verwendetes Feldgeschütz kleineren Kalibers mit ver­hältnismäßig langem Rohr.

  7. Hellebarde= eine von den Schweizern im frühen 14. Jahrhundert-Schlacht bei Morgarte n, 1315 - eingeführte. für Hieb und Stoß geeignete StangenwafTe. Im 16. Jahrhundert verlor die Hellebarde ihren Kampfwert zugunsten des Langspießes und der Pike. Nur als Trabantenwaffe lebte die Hellebarde bis ins 17. und 18. Jahrhundert fort.

  8. Morgenstern= Stachelkeule, Stock mit an Kette schwingender Stachelkeule, eine vor allem von Bauern geführte Notwaffe des 15./16. Jahrhunderts.

  9. Pfarrkirche oder Marienkirche: Der erste Bau wurde nach 1232 auf der Schlossfreiheit im gotischen Stil errichtet. zum ersten­mal 1396 erwähnt.1531 wurde unter dem Kurfürsten Joachim I. der Glockenturm errichtet. 1758 sank die Kirche mit den übri­gen Häusern der Stadt durch die Beschießung der Russen in Schutt und Asche. 1767 wurde sie wieder aufgebaut. 1806-14. während der französischen Besetzung, diente sie als Heu- und Strohmagazin. Sie musste infolge der argen Beschädigungen mit einem Kostenaufwand von fast 15 000 Talern wiederhergestellt werden. Im März 1945 wurde sie durch sowjetische Artillerie restlos zerstört.

  10. Die Hermenbüste stellt Friedrich als Kronprinz im Alter von 19 Jahren dar. im einfachen Beamtenrock mit dem Stern des Schwarzen Adlerordens

  11. Prof. Fritz Schaper (1841-1919) war Professor an der Kunstakademie in Berlin und Ritter des Ordens Pour le merite. Von ihm stammen u. a. das Uhland-Denkmal in Tübingen, das Goethe-Denkmal in Berlin, das Lessing-Denkmal in Hamburg und Bronzestatuen von Bismarck und Moltke in Köln. Prof. Gerhard Janensch (geb. 1860) war ein Schüler von Schaper (Anm. 21). Er leitete u. a. die Modellierklasse an der königli­chen Hochschule für bildende Künste zu Berlin.

  12. Haverkamp war ebenfa11s ein Schüler von Schaper (Anm. 21). Er wurde ausgezeichnet mit dem Großen Staatspreis und leitete die Fachklasse für figürliches Modell im Kunstgewerbemuseum zu Berlin.

700 Jahr Feier 1932

"Vor 700 Jahren geboren,

Zum Fischerdorf erkoren,

Wuchst Du zur Stadt empor,

Mit Festungswall und Tor.

 

Trotztest der Feinde Jeglichem Stoße,

Es weilte in Dir

Friedrich der Große.

 

So rollten Jahrhunderte Über Dich hin,

Heut bist Du umjubelt,

Du altes, erblühtes Küstrin."